Apropos Solidarität

Gedanken von Daniel Koch Redaktor March-Anzeiger vom 17. Dezember 2021

Solidarität gehört zu den Schlüsselbegriffen des Fachs Soziologie. Allerdings werden in der Literatur oft widersprüchliche Solidaritätsbegriffe zugrunde gelegt. Der kleinste gemeinsame Nenner besteht vielleicht darin, dass alle irgendetwas mit Hilfe, Unterstützung, Kooperation oder Zusammenhalt zu tun haben.

Während der Impfdebatte rund um das Coronavirus feierte der Begriff Solidarität unlängst gewaltig Urständ. Solidarität sei das Gebot der Stunde, hört man nicht nur Politiker sagen. Oder dass die Impfung nichts weniger als gelebte Solidarität bedeute, zumindest aber einen Akt der Solidarität darstelle. Die Solidarität lauert hinter fast jeder Ecke, es könnte einem beinahe schwindlig werden. Zumindest wenn man weniger altruistisch veranlagt ist und eine Prise toxischen Egoismus beibehalten möchte.

Seien wir ehrlich: Viele, die sich impfen liessen, dachten dabei doch primär ebenfalls an sich selbst oder ihre Familien und nicht an den anonymen Fremden, den man dadurch schützen konnte. Wenn man aus den Impfunwilligen schlechte, unsolidarische Menschen machen will, sollte man deshalb vorsichtig sein. Eigennutz und persönliche Sicherheit dürften auch bei allen bereits Geimpften eine grosse Rolle gespielt haben.

So unklug ein negativer Impfentscheid auch sein mag: Wichtig in der moralisch aufgeladenen Debatte ist der Fakt, dass die Politik das Impfen von Beginn weg als Angebot verkauft hat. Also kann man nun schlecht jemanden zum Menschen zweiter Klasse abstempeln, weil er von der stets mit Nachdruck geäusserten Freiwilligkeit Gebrauch gemacht hat. Wenn einige Politiker dennoch indirekt Druck ausüben, sollten sie sich überlegen, weshalb sie nicht bereit waren, eine Impfpflicht auf die politische Agenda zu setzen. Dies wäre konsequent gewesen.

 

Zitat und Definition Solidarität
von Jürgen Habermas, Philosoph und Soziologe

„Wer sich solidarisch verhält, nimmt im Vertrauen darauf, dass sich der andere in ähnlichen Situationen ebenso verhalten wird, im langfristigen Eigeninteresse Nachteile in Kauf.“